Nutzen von Protokollbiopsien nach Nierentransplantation
Nierenbiopsien empfinden viele Patienten als unangenehm und beängstigend. Dabei sind Nierenbiopsien heute normaler Weise nicht mehr wirklich schmerzhaft und auch das Schadensrisiko ist Dank Erfahrung und moderner Technik nur noch minimal. Hingegen kann der Nutzen einer histologischen Untersuchung des Nierengewebes enorm sein. Ein neuer Weg, Nierentransplantationen noch erfolgreicher zu machen bzw. das Langzeitüberleben von Transplantatnieren weiter zu verbessern sind Protokollbiopsien. In der Herztransplantation gehören Protokollbiopsien schon seit vielen Jahren zur Standardnachsorge. Über den "Nutzen von Protokollbiopsien nach Nierentransplantation" informierte uns Frau Prof. Anke Schwarz von der Abteilung für Nephrologie der Medizinischen Hochschule Hannover.
Zu Beginn informierte Frau Prof. Schwarz allgemein über die Anfänge der Transplantation, das Transplantationsgesetz, Wartezeit, über Lebend- und Verstorbenenspende sowie über den Transplantationsvorgang selbst.
Nach der Transplantation ist man nicht gesund:
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen müssen durchgeführt werden.
- Blutdruckmessungen, Urin- und Blutuntersuchungen sowie Punktion der Niere gehören zu den Standarduntersuchungen.
- Auch nach Transplantation muss evtl. eine Diät eingehalten werden (Zucker/Fett). Körperliche Einschränkungen sind möglich.
- Es müssen ein Leben lang Medikamente eingenommen werden, die mehr oder minder gut vertragen werden.
- Es besteht auch nach Transplantation eine Abhängigkeit, und zwar von Medikamenten und von Ärzten.
- Es bestehen oft Ängste vor Abstoßungsreaktionen, vor dem Verlust des Organs, vor wiederkehrender Krankheit und erneuter Dialysepflicht.
- Manche haben Probleme, weil sie fremdes Gewebe in sich haben oder Ängste vor Übertragung von Krankheiten.
- Und auch die Angst vor Arteriosklerose bleibt, da die Gefahr der Gefäßverkalkung nicht durch die Transplantation beseitigt ist.
Somit ist man also nach Transplantation nicht gesund sondern nur anders krank!
Bei dem Thema "Protokollbiopsien" geht es um die frühzeitige Erkennung und Behandlung von Abstoßungsreaktionen und dadurch Vermeidung des Organverlustes.
Anhand von Beispielpatienten zeigt Frau Prof. Schwarz, wie sich Kreatininwerte über längere oder auch kürzere Zeiträume verschlechtern, die Eiweißausscheidung steigt und mehr Blutdruckmedikamente erforderlich werden.
In den histologischen Untersuchungen wurden folgende Schäden festgestellt:
- Verödung der Harnkanäle
- Bindegewebseinlagerungen im Zwischengewebe
- Gefäßveränderungen
- Verdickung der Filtermembran der Nierenkörperchen
Es handelte sich nicht um richtige Abstoßungen und es ist auch nicht richtig klar, warum diese Schäden auftreten.
Es gibt aber verschiedene bekannte und teilweise vermutete Ursachen für die chronische Transplantatschädigung, die nicht immer eine chronische Abstoßung sein muss. Zum einen treten solche Schäden abstoßungsbedingt auf, wie:
- durch fehlende Gewebsübereinstimmung
- Antikörper gegen verschiedene Gewebemerkmale
- akute Abstoßungsreaktionen
- oder auch durch die Art der Medikamente
Außerdem gibt es nicht-abstoßungsbedingte Gründe. Dies sind:
- Das Spenderalter, grundsätzlich gilt, bessere Organqualität bei jüngeren Spendern
- Der Hirntod hat Auswirkungen auf das Spenderorgan, deshalb funktionieren grundsätzlich auch Lebendspendeorgane besser
- Es kann zu "Lagerschäden" kommen
- Die Anzahl der Nierenkörperchen; je mehr Nierenkörperchen desto besser; somit Organe von Männern besser, da mehr Nierenkörperchen
- Hoher Blutdruck schädigt die Gefäße.
- Reparaturvorgänge, denn das Transplantat ist durch Entnahme, Lagerung und Transplantationsvorgang selbst teilweise geschädigt
- Entzündungen, die aufgrund der Anatomie von Transplantatnieren häufiger vorkommen
- Medikamentenschäden durch immunsuppressive Medikamente
Die Transplantationsnachsorge ist eine Gemeinschaftsaufgabe zwischen Patient, dem örtlichen Nephrologen oder Hausarzt und dem Transplantationszentrum. Nur wenn alle drei zusammenarbeiten und sich gegenseitig informieren, sind gute Transplantationserfolge und ein langes Transplantatüberleben möglich. Die Mitverantwortlichkeit der Transplantationszentren ist sogar im Transplantationsgesetz festgeschrieben.
Aber was sind nun eigentlich Biopsien und warum macht man sie?
Bei einer Biopsie werden kleinste Gewebeteilchen mittels Punktion aus dem zu untersuchenden Organ/Gewebe entnommen, um eine histologische Untersuchung (unter dem Mikroskop) daran durchzuführen. Protokollbiopsien werden zu bestimmten festgelegten Zeitpunkten durchgeführt, rein aus Gründen der Qualitätssicherung. Indikationsbiopsien werden aufgrund der Transplantatverschlechterung, z. B. Kreatininanstieg oder Eiweißausscheidung, durchgeführt.
Im November 2000 hat das Transplantationszentrum Hannover begonnen, Protokollbiopsien durchzuführen. Sie gehören seither zur klinischen Standardnachsorge im Transplantationszentrum Hannover und werden von den Patienten auch sehr positiv angenommen, 90 % der Patienten beteiligen sich am Biopsieprogramm. Bis einschließlich Mai 2005 wurden dort 1.601 Protokollbiopsien durchgeführt sowie zusätzlich 615 Indikationsbiopsien.
Die Zeitpunkte der Protokollbiopsien waren:
6 Wochen nach Transplantation | = 544 Biopsien |
12 Wochen nach Transplantation | = 531 Biopsien |
26 Wochen nach Transplantation | = 501 Biopsien |
Die Zeitpunkte der drei Punktionen im ersten halben Jahr nach Transplantation sind bewusst gewählt, da inzwischen bekannt ist, dass Abstoßungen im ersten Jahr das Langzeitüberleben enorm beeinträchtigen und dass im ersten halben Jahr Abstoßungen am häufigsten vorkommen. Der Sinn der Biopsien liegt nunmehr darin, Abstoßungsreaktionen möglichst frühzeitig, das heißt, wenn sie noch subklinisch sind, also noch nicht zu Funktionseinschränkungen geführt haben, zu erkennen und behandeln zu können.
Anhand einer Studie von Dr. Rush aus den Jahren 1992 bis 1995 erläutert Frau Prof. Schwarz den Nutzen von Protokollbiopsien.
Er bildete 2 Gruppen mit jeweils 36 Patienten, die eine Gruppe wurde nach 4, 8, 12, 26 und 52 Wochen punktiert (= Punktionsgruppe), die andere Gruppe lediglich nach 26 und nach 52 Wochen (= Kontrollgruppe). Dabei behandelte er alle Abstoßungen und Veränderungen, die ihm anhand der Biopsien auffielen. Bei der ersten Gruppe fand er aufgrund der häufigeren Punktionen wesentlich mehr und behandelte entsprechend auch mehr.
Ziel dieser Studie war, durch die vermehrten Punktionen:
- die chronischen und akuten Transplantatveränderungen nach 6 Monaten zu reduzieren
- eine stabile Nierenfunktion zu erreichen (Kreatinin)
- akute Abstoßungen zu vermeiden bzw. rechtzeitig zu erkennen
Das Ergebnis war bei der | Punktionsgruppe | Kontrollgruppe |
Chronische Gewebsveränderungen nach 6 Monaten | 6 % | 24 % |
Klinische Abstoßungen nach 7 – 12 Monaten | 11 % | 33 % |
Serum-Kreatinin nach 24 Monaten | 133 ± 14 μmol | 183 ± 22μmol |
Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Protokollbiopsieprogramm durchaus Sinn macht.
Der Ablauf einer Biopsie
Bei der hohen Anzahl der Transplantationen in Hannover wäre eine stationäre Aufnahme aller Biopsiepatienten nicht möglich. Somit wurde ein ambulantes Biopsieprogramm eingerichtet.
Dazu kommt der Patient früh morgens und bringt die vom Hausarzt / örtlichen Nephrologen abgenommenen Gerinnungswerte mit. Die Punktion wird von zwei Ärzten durchgeführt, ein Oberarzt, der die Niere zuerst schallt und die richtige Punktionsstelle sucht sowie einem weiteren Arzt, der die Punktionsnadel führt. Die Punktionsstelle wird vor lokal betäubt. Nach der Punktion wird die Punktionsstelle mit einem Sandsack beschwert und der Patient muss vier Stunden liegen. Anschließend wird die Punktionsstelle nochmals per Ultraschall kontrolliert. Während der Wartezeit wird das entnommene Gewebe untersucht und nach vier Stunden liegt das Ergebnis bereits vor. Sofern keine behandlungsbedürftigen Auffälligkeiten festgestellt werden und auch die Punktionsstelle nach der Wartezeit keine Probleme macht, kann der Patient dann wieder nach Hause.
Ganz risikofrei sind die Punktionen natürlich nicht und so kommen kleinere Komplikationen vor. Im Einzelnen waren dies bei 1171 Punktionen im Transplantationszentrum Hannover:
- Blut im Urin
- Bluterguss um das Transplantat
- Nervenreaktion (z. B. hoher Puls)
- AV-Fistel (Mini-Shuntkreislauf)
Diese Komplikationen erforderten teilweise anschließende stationäre Aufenthalte zur Beobachtung oder Blutübertragungen, Spülkatheter oder auch gar keine Maßnahmen, da die Heilung selbständig funktionierte. Insgesamt war Handlungsbedarf aufgrund von Komplikationen nur bei 2,9 % der Patienten, wobei teilweise nur zur Sicherheit stationär beobachtet wurde. Größere Komplikationen kamen nicht vor, auch kam es durch die Punktionen zu keinerlei Funktionsverschlechterung.
Die Gewebeentnahme selbst schadet der Niere nicht, da eine Niere etwa 1 Mio. Nierenkörperchen hat und bei einer Punktion lediglich etwa 7 bis 15 Nierenkörperchen entnommen werden.
In 1160 Kontrollbiopsien bei 486 Patienten wurden folgende Gewebsveränderungen festgestellt:
verschiedene Abstoßungen | 25 %, davon 60 % klinisch stumm (nur in Biopsie erkennbar) |
Akute Veränderungen | 64 % |
Verdacht auf Medikamentenschaden | 30 % |
Minimale chronische Veränderungen (<5%) | 35 % nach dem ersten halben Jahr |
Blutdruckschaden | 30 % |
Verkalkungen im Zwischengewebe (Fortgeschrittene Verkalkungen aufgrund langjähriger Dialyse/Nebenschilddrüsenüberfunktion greifen auch in das Transplantat über) | 21 % |
Die in den Biopsien festgestellten Gewebsveränderungen hatten bei 20 % der Patienten Therapieänderungen zur Folge, meistens aufgrund von akuten Abstoßungen (65%). Dabei sind die häufigsten Abstoßungen bei der ersten Protokollbiopsie erkennbar, da mit zunehmender Zeit das akute Abstoßungsrisiko abnimmt.
Indikationsbiopsien (aufgrund von klinisch sichtbaren Funktionsverschlechterungen) haben wesentlich häufiger Therapieänderungen zur Folge (43 %), jedoch davon nur 46 % wegen akuter Abstoßungen.
Die Protokollbiopsien haben auch gezeigt, dass, wenn chronische Veränderungen auftreten, diese bereits im ersten halben Jahr drastisch zunehmen. Verbunden mit chronischen Veränderungen sind auch eine Funktionsverschlechterung und geringe Haltbarkeit (Langzeitüberleben). Das heißt auch, dass bereits nach einem halben Jahr der weitere Weg des Organs sichtbar ist. Im Vergleich der Patienten mit chronischen Veränderungen im ersten halben Jahr mit den Patienten ohne diese chronischen Veränderungen zeigte sich, das Arteriosklerose (oft bei Nieren von alten Spendern) und Verkalkung (durch Nebenschilddrüsenüberfunktion) einen negativen Einfluss auf das Transplantat haben und chronische Veränderungen fördern. Außerdem haben eine lange Transplantationsdauer (kalte Ischämiezeit) und akute Abstoßungsreaktionen negative Auswirkungen.
Um auch einen möglichst großen wissenschaftlichen Nutzen des Biopsieprogramms zu haben, wurde bei der Auswertung die Frage gestellt "Was hat bei einer akuten Abstoßung den meisten Einfluss auf die Transplantatfunktion? Die Anzahl der Abstoßungen? Die Schwere der Abstoßungen? Der Zeitpunkt der Abstoßungen oder ein merkbarer Funktionsverlust zum Zeitpunkt der Abstoßung?
Maßgeblich für die Auswertung war das Serum-Kreatinin 12 Monate nach Transplantation.
Anzahl und Schwere der Abstoßungen zeigten keine signifikanten Serum-Kreatininunterschiede im Verhältnis zu Patienten ohne Abstoßungsreaktionen. Ob allerdings die Auswirkungen zu einem späteren Zeitpunkt deutlicher sind, lässt sich daraus nicht ersehen.
Wichtig scheint allerdings der Zeitpunkt der Abstoßung zu sein, so wurde sichtbar, Abstoßungen die nach dem 6. Monat bis zum 12 Monat (Kontrollzeitpunkt) stattfanden, hatten zum Kontrollzeitpunkt ein deutlich höheres Serum-Kreatinin zur Folge als frühere Abstoßungen.
Deutliche negative Auswirkungen auf das Serum-Kreatinin nach 12 Monaten hat auch ein merkbarer Funktionsverlust bei der Abstoßung gegenüber Abstoßungen ohne sichtbaren Funktionsverlust.
Dies wird auch durch eine große amerikanische Studie bestätigt, die zeigt, je höher der Kreatininanstieg bei einer Abstoßung ist, desto geringer ist das Langzeitüberleben. Dies bestätigt wiederum das Hannoversche Nachsorgekonzept der Protokollbiopsien im ersten halben Jahr, um vor allem akute Abstoßungen zu erkennen und zu behandeln, bevor sie einen Kreatininanstieg verursachen.
Ein bis vier Protokollbiopsien pro Tag erfordern natürlich auch einen gewissen Personalbedarf. Fünf verschiedene Mitarbeiter arbeiten hieran insgesamt ca. 22 Stunden. Damit das alles funktioniert, müssen Nephrologie, Chirurgie und Pathologie zusammenarbeiten. Dies ist letztendlich ein hoher Aufwand, der sich aber auf lange Sicht für alle Beteiligten und ganz besonders für den Patienten bezahlt machen dürfte mit einer signifikant längeren Transplantatfunktion.
Natürlich gibt es auch Gründe, die gegen Protokollbiopsien sprechen, wie eine mögliche Organschädigung, Fehldiagnosen oder auch die Kosten. Allerdings scheint die Chance, Abstoßungen und andere Transplantatveränderungen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln und so das Langzeitüberleben positiv zu beeinflussen das Risiko von Komplikationen und Fehldiagnosen zu überwiegen.
Monika Centmayer