"Sag mal, wie machst Du das?" Bericht zum Seminar Krankheitsbewältigung
Am 5. Oktober 2006 folgte ich zum ersten Mal einer Einladung der Junge Nierenkranke Deutschland e.V. zum Seminar "Krankheitsbewältigung" ins Stadthotel Püttlingen / Saarland. Den Anfang dieses Wochenendes bildete am Donnerstagabend die erste gemeinsame Regionalveranstaltung der Regionalgruppen Rheinland Pfalz und Saarland. Hierzu waren bereits viele Seminarteilnehmer, aber auch Ärzte, Pflegepersonal und Betroffene aus der Region, angereist.
Martin Müller begrüßte die Anwesenden und stelle zunächst den Verein und seine Anliegen vor: Die meisten regionalen Patientenvereine haben einen Altersdurchschnitt von über 60 Jahren, was vor allem unterschiedliche Interessen und Probleme der jungen Mitglieder, im Gegensatz zu den älteren, impliziert. Junge Dialysepatienten stellen somit eine Randgruppe dar. Der Verein Junge Nierekranke, der deutschlandweit agiert, will seinen Mitgliedern in sozialen sowie medizinischen Problemen zur Seite zu stehen und organisiert auf seine Mitglieder zugeschnittene Seminare und Freizeitveranstaltungen.
Was Martin Müller aber besonders betonte ist, dass der Verein auf keinen Fall in Konkurrenz zu den regionalen Vereinen angesehen werden sollte. Viel mehr rief er zu einem Dialog und gemeinsamer Zusammenarbeit auf. Thomas Lehn schloss sich den Worten von Martin Müller an.
Der erste Redner des Abends war Herr Dr. med. E. Fugger, Chef des Dialysezentrums Püttlingen. Er erklärte sehr anschaulichan einem einfachen Beispiel, weshalb es besser sei, die Dialysezeit zu verlängern. Er verglich die Giftstoffe, die mittels der Dialyse entfernt werden sollen, mit Teilnehmern einer Volkswanderung. Die Strecke ist hierbei ein Rundkurs und am Ziel (Dialysefilter) warten Busse auf die Ankommenden (die Giftstoffe werden abtransportiert). Das Problem ist aber folgendes: aus Sicherheitsgründen dürfen nur 150 Wanderer gleichzeitig auf der Strecke sein und außerdem sind nicht alle Wanderer gleich schnell. So ist z.B. das Phosphat ein Wanderer, der relativ langsam unterwegs ist. Im Gegensatz zum Kalium braucht das Phosphat viel länger um überhaupt auf die Strecke zu gelangen und somit einen Bus zu erreichen. Erst dann kann sich ein neues Phosphat auf den Weg machen, denn die Teilnehmerzahl ist ja begrenzt. Damit erklärt sich die Tatsache, dass es besser ist, fünf statt drei Stunden Dialyse zu machen, denn nur so können auch viele der langsamen Wanderer abtransportiert werden. Die Dauer der Dialysebehandlung bestimmt somit die Qualität der Blutreinigung und diese wiederum wesentlich die Lebenszeit des Patienten (Dialysezeit gleich Lebenszeit).
Danach klärte uns Oberarzt Herr Dr. med. G. Heine von der Uniklinik Homburg über die Langzeitdialyse und ihre Folgeschäden auf. Besonders betonte er die Problematik der Arteriosklerose. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass der Dialysepatient selbst am meisten dazu beitragen kann, die Arteriosklerose zu vermindern: durch etwas Bewegung, eine gesunde, der Erkrankung angepasste Ernährung und den Verzicht auf Nikotin.
Oberärztin Frau Dr. med. E. Wandel der Uniklinik Mainz referierte über das Thema "Überleben und Langzeitprognose mit einer transplantierten Niere". Sie stellte heraus, wie wichtig die Eigenverantwortung des Patienten nach einer Transplantation ist. Dieser sollte seine Medikamente, vor allem die Immunsupressiva, kennen und strikt nach Anweisung einnehmen. Nur so hat die transplantierte Niere gute Chancen lange zu funktionieren.
Im Anschluss trat als letzter Referent Herr Prof. Dr. med. G. Krönung vom Kreiskrankenhauses Ottweiler auf – der Shuntspezialist schlechthin. Er untermalte seinen Vortrag, der unter anderem von "Shunts gestern und heute" handelte, mit vielen Fotografien. Zudem erläuterte er schonungslos, anhand von reichlich Bildmaterial, die verschiedenen Operationsmethoden von der Anlage eines Shunts bis zu Revidierung – nichts für zart besaitete Personen!
Alle Referenten beantworteten gerne und vor allem ausführlich die Fragen aus dem Publikum. Martin Müller und Thomas Lehn, die gemeinsam durch das Programm geführte hatten, bedankten sich bei den Rednern sowie den Sponsoren und luden die Anwesenden zu einem kleinen Umtrunk und einem leckeren Buffet ein.
Der erste Seminartag begann mit einer Gesprächsrunde, an der auch ich selbst teilnahm. Das Gespräch wurde von der Diplompsychologin Frau I. Weitzel geleitet. Ziel war der Erfahrungsaustausch von Patienten in schwierigen Lebenssituationen (Brustkrebs, angeborener Herzfehler und (Langzeit)Dialyse). Wir, die Teilnehmer, berichteten von unseren Krankheitsgeschichten, von unseren Ängsten und den verschiedenen Erfahrungen mit Ärzten. Aber auch der Umgang mit der Krankheit in Familie und Freundeskreis war dabei ein Thema. Schnell entwickelte sich eine interessante Unterhaltung mit Beteiligung der Zuhörer. Dabei stellte sich heraus, dass es unabhängig von der Art der Krankheit viele Parallelen gibt. Es wurden aber nicht nur Probleme diskutiert, sondern es wurde auch viel gelacht. Ein Fazit war, dass wir, als Kranke, die einfachen Dinge des Lebens mehr zu schätzen gelernt haben, als "die Gesunden" - eine durchaus positive Seite der verschiedenen Erkrankungen.
Am Nachmittag hielt Frau Diplompsychologin Weitzel einen Votrag zum Thema Stress. Sie sprach von positivem (Eustress) und negativem Stress (Distress) und den Möglichkeiten, wie man mit negativem Stress umgehen kann.
Nach einer kurzen Kaffeepause erzählte uns Herr Dipl. Psychologe Kimelman der Caritas Schmerzklinik in Saarbrücken von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des Biofeedbacks. Hierbei sitzt der Patient beispielsweise vor einem Monitor auf dem, mittels Messung von Puls oder Hautleitwert, unbewusste Fehlreaktionen und –funktionen visualisiert werden. So lernt der Patient die Reaktionen bewusst zu beeinflussen und somit wieder in eine richtige Richtung zu lenken. Anwendungsgebiete sind hier z. B. chronische Schmerzen oder Migräne. Leider war der sehr interessante Vortrag mangels Zeit etwas kurz.
Den Abschluss dieses ersten Tages bildete eine Vorführung der Meridianen Energie Technik. Frau Diplompsychologin M. Mitzel führte vor, wie man mittels Beklopfen von bestimmten Endpunkten der Meridiane das Wohlbefinden steigern kann. Sie zeigte uns, wie man sich selbst beklopfen kann. An Martin Müller führte sie vor, wie man Müdigkeit "wegklopft". Dieser bestätigte ,wenn auch etwas skeptisch, dass seine Müdigkeit, viel weniger sei. Danach fuhren einige von uns zur Dialyse. Im Dialysezentrum Püttlingen wurden sie von Dr. Fugger, und dem Pflegepersonal sehr freundlich und zuvorkommend behandelt und versorgt. Am Abend war gemütliches Beisammensein im Hotel angesagt und einige machten noch Püttlingen und Umgebung unsicher.
Am zweiten Seminartag teilten sich die Teilnehmer in zwei Arbeitskreise auf. Einer hatte das Thema "Patient und Krankheit", der andere beschäftigte sich mit "Familie und Beruf". Die Arbeitskreise wurden von Nicole Scherhag und Silke Niebegall geleitet. Ich war Teilnehmer des ersten Arbeitskreises. Hier stellten sich als erstes alle untereinander vor und schilderten kurz ihre Krankheitsgeschichte. Schon hier kam es zu einem ersten, sehr interessanten Meinungsaustausch.
Unter der Leitung von Silke Niebegall wurden dann die verschiedenen Arten, wie wir unsere Krankheit, den damit verbundenen Stress und die Sorgen verarbeiten, in verschiedene Gruppen eingeordnet. So stellte sich heraus, dass wir im Umgang mit unserer Krankheit erstens alle ähnliche, und zweitens aber auch sehr vielfältige Bewätigungsstrategien verfolgen. Diese gehen von der bewussten Ablenkung von der Krankheit (sich in die Arbeit stürzen oder Party machen) bis hin zum exzessiven Baden in Selbstmitleid ("Ich will einfach meine Ruhe haben und mir selbst leid tun"). Ich denke, dass alle Teilnehmer dieses Arbeitskreises sehr viel Positives mit nachhause nehmen konnten. Mir persönlich wurde dabei bewusst, dass meine eigenen Bewältigungsstrategien weder falsch noch außergewöhnlich sind. Die Ergebnisse der Arbeitskreise wurden am Nachmittag gegenseitig vorgestellt.
Die Resultate des anderen Arbeitskreises blieben mir leider nicht so gut in Erinnerung. Hierzu kann ich nur sagen, dass sich dort herausstellte, dass das Ausüben eines Berufes für viele Patienten von großer Bedeutung ist. Erstens steigert es das Selbstwertgefühl, zweitens die soziale Anerkennung und drittens sichert es eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit.
Als Abschluss dieses Tages zeigte uns Frau M. Connrads, wie die "Progressive Muskelrelaxion", eine Entspannungstechnik funktioniert. Dabei werden ganz bewusst die einzelnen Muskelpartien von den Händen über den Kopf, den Rücken und Bauch hinab bis ganz unten zu den Zehen erst bewusst angespannt und wieder entspannt. Diese Übung machten wir Seminarteilnehmer gerne mit.
Nach dieser Entspannungsübung ließ Martin Müller das gesamte Seminar revue passieren und erhielt von unserer Seite, den Teilnehmern, eine sehr positive Resonanz. Als eine der vielen Erkenntnisse dieses Wochenendes lässt sich festhalten: Es ist für uns "Kranke" wichtig, dass wir uns selbst auch mal die Zeit und die Gelegenheit geben, uns hängen zu lassen und auch mal so richtig traurig und wütend auf das Leben und unser Schicksal zu sein. Jedoch genau so wichtig ist es, dass wir uns auch mal so richtig freuen und lachen können – trotz der Tatsache, dass wir krank sind!
Ich bin sehr froh, dass ich an diesem Seminar teilgenommen habe. Nicht nur, wegen dem Seminar an sich. Ich war auch ein Mitglied der anfangs genannten Randgruppe: ich bin zwar in einem regionalen Patientenverein aktiv, aber wir haben vorwiegend ältere Mitglieder. Als ich Anfang des Jahres an die Dialyse musste, hatte ich deshalb dennoch keinen gleichaltrigen Ansprechpartner und stand mit meinen Problemen, Fragen und Ängsten ziemlich alleine da. Deshalb bin ich sehr froh, dass Martin Müller mich zu diesem Seminar eingeladen hat und ich die Möglichkeit hatte, endlich einmal junge Leute zu treffen, die "so sind wie ich". Als mir Thomas Lehn samstags die Beitrittserklärung unter die Nase hielt, hatte ich längst schon eine ausgefüllt! Ich bin froh und stolz, selbst ein Mitglied dieses tollen Vereins, der aus vielen netten Leuten besteht, geworden zu sein.
Caroline Schmitt
Fotos von Thomas Lehn und Martin Müller
Fotos vom Abendseminar "Überleben als Dialysepatient und Transplantierter"
Fotos vom Seminar - Teil 1
Fotos vom Seminar - Teil 2
Fotos vom Seminar - Teil 3