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Vortrag "Toleranzinduktion bzw. Minimierung von Immunsuppression" von Prof. Dr. med. Fred Fändrich

Mit dem Vortrag "Toleranzinduktion bzw. Minimierung von Immunsuppression" gab uns Prof. Dr. med. Fred Fändrich vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, einen Einblick in eine von ihm geleitete Studie.
Wie wir im Vortrag von Dr. Arns hörten, sind Immunsuppressiva zwar einerseits sehr wichtig, weil Sie die Abstoßung transplantierter Organe verhindern, andererseits schädigen diese Medikamente allerdings auch das transplantierte Organ oder verursachen bzw. verschlimmern andere begleitende Erkrankungen. Somit erscheint das Ziel, immunsuppressive Medikamente minimieren oder sogar ganz darauf verzichten zu können, verständlich und sinnvoll.

Laut Prof. Fändrich gibt es bereits mehr als 100 verschiedene Tiermodelle, die zeigen, dass dies auch durchaus möglich ist. Jedoch ist die Übertragung in die Klinik dann wesentlich schwieriger. Das Modell in Kiel hat die Vermehrung der regulatorischen T-Zellen zum Ziel. Wie wir bereits erfahren haben, sind T-Zellen verantwortlich für Abstoßungsreaktionen. Prof. Fändrich erläutert jedoch nunmehr, dass es verschiedene T-Zellen gibt. Zum einen gibt es die sogenannten zytotoxischen T-Zellen. Diese T-Zellen schaden der Niere, da sie Abstoßungsreaktionen verursachen. Zum anderen gibt es die regulatorischen T-Zellen. Sie steuern den zytotoxischen T-Zellen entgegen und verhindern somit Abstoßungen. Bis heute ist es allerdings so, dass diese Unterscheidung bei regulären histologischen Untersuchungen gar nicht gemacht wird. Regulatorische T-Zellen werden auch ohne Organtransplantation grundsätzlich vom Körper benötigt. Denn wenn diese Zellen fehlen, entwickelt der Organismus Autoimmunerkrankungen.

In Kiel hat man sich nunmehr die Frage gestellt, wie können wir die regulatorischen T-Zellen vermehren? Prof. Fändrich erläutert, dass eine T-Zelle zuerst einmal weder zytotoxisch noch regulatorisch ist. Wenn Sie in das transplantierte Organ eindringt, bekommt sie von den Antigen präsentierenden Zellen zwei Signale. Je Nach Stärke dieser Signale wird die "naive" T-Zelle entweder eine zytotoxische oder eine regulatorische T-Zelle. Die Überlegung war also, wie können die Antigen präsentierenden Zellen so verändert werden, dass ihre Signale die "naiven" T-Zellen nicht zu zytotoxischen T-Zellen sondern zu regulatorischen T-Zellen ausreifen lassen.

Hierzu werden dem Organspender Monozyten (weiße Blutkörperchen, die wie Antigen präsentierende Zellen fungieren) entnommen. Bei Leichenspendern werden diese Monozyten aus der Milz entnommen, bei Lebendspendern aus dem Blut. Diese Monozyten werden dann 5 Tage lang im Labor behandelt mit MCSF, einem Wachstumsfaktor, und γ-INF, ein Zytokin, das die Monozyten stimuliert. Dann können diese veränderten Monozyten wieder entnommen werden. Es sind nun Transplantata- Azeptanz-induzierende Zellen (TAIZ), da sie, wenn sie mit T-Zellen co-kultiviert werden, regulatorische T-Zellen herstellen. Da sich nicht alle Monozyten verändern, jedoch nur die veränderten Monozyten benötigt werden, wurde ein bestimmter Antikörper entwickelt, der diese veränderten Monozyten erkennt und somit das Herausfiltern dieser Monozyten ermöglicht. Dann werden diese veränderten Monozyten dem Nierenempfänger gespritzt.

Zu Beginn wurde dieses Verfahren in Tierversuchen mit Ratten erprobt. Hier zeigte die Behandlung mit TAIZ-Zellen vor der Transplantation, die aus Monozyten des Nierenspenders hergestellt wurden, eine Transplantatakzeptanz, während unbehandelte Ratten das Organ wieder abstießen.

Nachdem diese Versuche gelungen waren, wurde ein weiterer Versuch gewagt. In Zusammenarbeit mit Prof. Haverich, Herz- und Lungenchirurg aus Hannover, wurde nun Schweinen lediglich eine linke Lunge transplantiert, um die rechte eigene zum Vergleich zu haben. Dieses Tiermodell war besonders interessant, da die Lunge ein immunulogisch sehr riskantes Organ ist. Anhand dieses Tiermodells sollte untersucht werden, ob auch bei großen Tieren die Zellen funktionieren. In diesem Tiermodell wurden die Zellen am Tag 7 und 10 nach der Transplantation gegeben. Außerdem bekamen alle transplantierten Schweine zu Beginn eine Immunsuppression mit Imurek, Kortison und Sandimmun. Nach 28 Tagen wurden dann alle Immunsuppressiva abgesetzt. Die Schweine, die nicht mit den veränderten Monozytenzellen behandelt wurden, starben alle nach ca. 40 bis 50 Tagen an einer schweren Lungenentzündung durch Organabstoßung. Von den 6 mit TAIZ-Zellen behandelten Schweinen leben noch vier bis heute, seit nunmehr 2 (Muss dass nicht schon viel länger sein???) Jahren, auf einem Bauernhof. Diese vier Schweine zeigen keinerlei Anzeichen einer chronischen Abstoßung. Dies ist besonders bedeutsam, da von Schweinen ja auch nicht gerade die Einhaltung von Hygienevorschriften erwartet werden kann. Zwei der mit TAIZ-Zellen behandelten Schweine starben durch Abstoßung des transplantierten Organs. Als Ursache hierfür wird die Zellmenge gesehen, die bei diesen beiden Schweinen geringer ausfiel als bei den vier überlebenden Schweinen.

Diese Erfolge waren dann Anlass, in klinische Studien am Menschen überzugehen. Dabei galt es, folgende Fragestellungen zu klären:

  1. Welche Nebenwirkungen sind mit der Gabe von Toleranz-induzierenden Zellen verbunden?
  2. Können TAIZ-behandelte Patienten komplett auf immunsuppressiv wirkende Medikamente verzichten?

Die erste klinische Studie wurde mit Leichennieren durchgeführt. Als Empfänger kamen dabei nur Patienten in Frage, die die erste Transplantation erhalten sollten. Dabei wurden dem Spender neben der Niere auch Monozyten aus der Milz entnommen. Diese wurden dann wie im Tierversuch im Labor aufbereitet und am Tag 5 nach Nierentransplantation dem Empfänger intravenös injiziert. Außerdem erhielten die Empfänger als Immunsuppression Tacrolimus, Rapamycin und Steroide. Ziel war es dann, die Immunsuppression schrittweise zu reduzieren und abzusetzen, und zwar nach 6 Wochen die Steroide, nach 8 Wochen das Rapamycin und nach 24 Wochen das Tacrolimus. Um das Risiko zu minimieren und die Veränderung der Immunsuppression genau zu planen, wurde zu Beginn eine Ausgangsbiopsie der Niere gemacht und eine weitere Biopsie vor jeder geplanten Veränderung der Immunsuppression.

Es wurden zu Beginn 15 Patienten in diese Studie eingeschleust, allerdings sind einige Patienten herausgefallen. Dafür gab es verschiedene Ursachen. Bei einem Spender fehlte aufgrund eines Autounfalls die Milz, so dass keine TAIZ-Zellen hergestellt werden konnten. Ein weiterer Patient hatte vor der Zellgabe eine Infektion. Dieser Patient fiel damit auch aus der Studie, da die Wirkung der Zellen auf einen infektiösen Körper nicht abgeschätzt werden konnte. Von zwei Spendern konnten nicht genügend Zellen gewonnen werden, aus den Tierversuchen war inzwischen die Erkenntnis da, dass eine bestimmte Anzahl von Zellen benötigt wird, um den Erfolg zu gewährleisten. Zwei Patienten hatten eine schwere Abstoßung vor der Zellgabe, so dass auch diese aus der Studie herausgenommen wurden.

Die verbliebenen 9 Patienten leben heute alle mit einer guten bis sehr guten Transplantatfunktion. Vier Patienten hatten zwar eine Abstoßungskrise, jedoch ohne eine nachhaltige Nierenschädigung. Es zeigte sich sogar, dass die Krise mit der Gabe von Steroiden schneller als gewöhnlich wieder behoben werden konnte und das Kreatinin ging auf den Ursprungswert zurück. Bei der Ursachenforschung, warum nun vier der Patienten Abstoßungskrisen hatten, wurde festgestellt, dass 3 von ihnen unter 200 Mio. Zellen bekommen haben und somit ziemlich wahrscheinlich die Zellmenge sehr ausschlaggebend für den Erfolg ist. Die vierte Patientin hatte hervorragende und stabile Kreatininwerte, es konnten sogar alle immunsuppressiven Medikamente ausgeschlichen werden. Ca. 5 Wochen nachdem auch Tacrolimus abgesetzt war kam es dann zu einer Abstoßungsreaktion, der allerdings ein Harnwegsinfekt vorausgegangen war. Somit kann man sagen, dass hier eigentlich sogar Immuntoleranz erreicht wurde, diese jedoch nicht stabil genug war, um einen Infekt, wie in diesem Fall ein Harnwegsinfekt, schadlos zu überstehen.

Besonders ist auch darauf hinzuweisen, dass für diese Studie eine schnelle Transplantation mit kurzer Ischämiezeit wichtig war. Daher wurden nur Nieren aus dem Kieler Raum verwendet und auf die HLATypisierung wurde verzichtet. So haben alle Patienten zwischen 3 und sogar 6 Missmatsches.

Zusammenfassend hat diese erste Studie folgendes ergeben:

  • Es kam zu keinem Organverlust.
  • Die TAIZ-Gabe hat keine schwerwiegenden Nebenwirkungen (seit Beginn der Studie 2003)
  • Eine Minimalisierung der Immunsuppression (lediglich Tacrolimus mit Spiegeln zwischen 4 und 6) ist möglich, ein komplettes Absetzen nicht.
  • Die Wirksamkeit von TAIZ ist dosisabhängig.
  • Die erreichte Toleranz ist nur temporär aber nicht stabil induziert.

Nach diesem Erfolg wurde der nächste Schritt gemacht und eine Studie mit Lebendnierenspenden begonnen. An dieser Studie beteiligen sich auch die Transplantationszentren in Düsseldorf und Essen.

Bei der Lebendspende werden die Monozyten nicht aus der Milz sondern aus dem Blut des Empfängers entnommen. Sie werden dann wie bei der Leichenspende 5 Tage lang im Labor aufbereitet. Nun kommt die Besonderheit bei der Lebendspende. Nach diesem Vorgang, aber immer noch vor der Transplantation, werden dem Nierenempfänger T-Zellen entnommen, die dann mit den veränderten Monozyten des Spenders kultiviert werden. Bei diesem Vorgang, der 4 Tage dauert, entstehen dann die gewünschten regulatorischen T-Zellen. Dieser gesamte Zellmix wird nunmehr dem Empfänger vor der Nierentransplantation über einen zentralen Venenkatheter verabreicht. Erst 5 Tage nach der Zellgabe findet die Nierentransplantation statt.

Bei dieser Studie erhalten die Patienten als Immunsuppression 3 Tage lang ATG, außerdem Steroide, die nach 8 Wochen abgesetzt werden und Tacrolimus, das nach 12 Wochen reduziert wird und nach 24 Wochen ebenfalls abgesetzt werden soll. Wie auch in der Studie mit Leichennieren werden hier ebenfalls vor Veränderungen Biopsien durchgeführt.

In diese Studie wurden bisher 4 Patienten aufgenommen. Der erste und bisher erfolgreichste Partient dieser Studie war Carlos Ray. Er wurde im Februar 2005 transplantiert und ist zu diesem Seminar mitgekommen, um selbst von seiner Transplantation, seiner Motivation, an dieser Studie teilzunehmen und von dem Erfolg zu berichten. Bevor Carlos Ray selbst berichtet fast Prof. Fändrich noch die bisherigen Ergebnisse aus der Lebendspendestudie zusammen.

Carlos Ray hatte die günstigsten Voraussetzungen mit 0 Missmatsches. Bei ihm konnten protokollgemäß alle immunsuppressiven Medikamente abgesetzt werden. Seit 8 Monaten lebt er nun mit einem stabilen Kreatinin zwischen 1,3 und 1,4 ohne Immunsuppression. Eine weitere Patientin, die 6 Missmatsches hatte, benötigt nur noch 1 mg Prograf alle 3 Tage. Auch bei ihr wird ein komplettes Absetzen dieser restlichen Immunsuppression angestrebt. Zwei weitere Patienten haben ein stabiles Kreatinin unterhalb von 2 und nehmen beide nur eine Minimaldosis Prograf. Alle vier Patienten waren noch nicht an der Dialyse.

Die Gabe des Zellmixes aus TAIZ-Zellen und Spenderantigen-geprimten Empfänger-Tregs scheint einen noch größeren Nutzen zu bringen als die alleinige Gabe von TAIZ-Zellen. Auch der Zeitpunkt der Zellgabe vor Transplantation, was ja lediglich bei der Lebendspende möglich ist, scheint für das Erreichen der Immuntoleranz günstiger zu sein.

Prof. Fändrich ist überzeugt, dass auf diesem Wege eine dauerhaft deutliche Minimierung der Immunsuppression, vielleicht sogar dauerhafte Immuntoleranz erreicht werden kann. Er gibt allerdings auch klar zu verstehen, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die Rede davon sein kann, dass Immuntoleranz erreicht wurde. Es gebe lediglich einen Patienten, bei dem die Voraussetzungen besonders günstig waren und das Konzept bis jetzt 100prozentig funktioniere. Um weitere Erfahrungen zu sammeln und Fortschritte zu erzielen sei es nun wichtig, weitere Patienten in diesem Studienprogramm zu transplantieren.

Nun berichtete Carlos Ray von seinen Erfahrungen. Herr Ray war im Jahr 2003 wegen starker Kopfschmerzen zum Arzt gegangen. Das Ergebnis der Untersuchung war für ihn eine Katastrophe, sein Kreatinin war bereits 3,8. Der Facharzt teilte ihm mit, dass es keine Heilungschancen mehr gibt und nur Dialyse oder Transplantation möglich seien. Nach dem ersten Schock entschied sich Herr Ray zu kämpfen. Er hatte das Glück, eine große Familie zu haben und alle waren bereit, ihm eine Niere zu spenden, so dass er drei Spender zur Verfügung hatte. Zuerst dachte Herr Ray, er bekommt halt eine Niere von einem Familienangehörigen und ist dann für immer wieder gesund. Mit der Zeit und zunehmenden Informationen erkannte er aber, dass dies nicht so ist, dass er ein Leben lang Medikamente nehmen muss und dennoch auch die Niere eines Verwandten meistens nach Jahren wieder abgestoßen wird. Und dann müsste also wieder ein Spenderorgan her. Dies war aber so für Carlos Ray nicht akzeptabel. Für ihn war klar, wenn schon ein Familienangehöriger für ihn eine Niere spendet, dann soll sie möglichst auch das ganze Leben halten.
Somit informierte er sich also, welche neuen Behandlungsmöglichkeiten auf dem Markt waren. Dabei stieß er auf eine Studie in Amerika und auf ähnliche Forschungen in Belgien und nach rund 3 Monaten täglich mehrstündiger Suche im Internet auch auf die Studie von Prof. Fändrich in Kiel. Der örtliche Nephrologe wollte von diesen Neuheiten nichts wissen, also rief Herr Ray selbst in Kiel an. Es folgte ein Informationsgespräch nach dem für Carlos Ray klar war, dass hier seine Chance ist und er dieses Experiment wagen will.
Im Februar 2005 war es dann soweit. Seine eigenen Nieren funktionierten nicht mehr ausreichend, er wurde erfolgreich transplantiert, nimmt seit 8 Monaten keine Medikamente mehr und sagt von sich selbst "Ich bin wieder gesund!". Carlos Ray vermittelte sehr eindrucksvoll seine Motivation, dieses Experiment zu wagen. Für ihn war klar, wenn ich den herkömmlichen Weg gehe, weiß ich was kommt, wenn ich diesen neuen Weg wage, habe ich zumindest die Chance, dass der Verlauf besser sein wird und brauche mir niemals vorzuwerfen, nicht alles versucht zu haben.

Prof. Fändrich und Carlos Ray vermittelten allerdings auch beide, dass sehr viel Geduld aufzubringen ist, da aufgrund der Neuheit und der mangelnden Erfahrungswerte sehr engmaschige Kontrollen notwendig sind. Carlos Ray betont aber, dass der Erfolg den Aufwand wert sei und er diese Entscheidung nicht bereue. Was wir in diesem Vortrag erfuhren, war äußerst interessant und wir jungen Nierenkranken werden diesen neuen Weg sicherlich intensiv weiter beobachten.

Monika Centmayer